



Kommunikator
mit kleinen Radios
Eine mobile
Form der Outdoor-Kultur etabliert sich: Die „Strandbox“ schafft
temporäre Ereignisräume an ausgewählten Kölner
Orten
Köln –
Mal gastiert die „Strandbox“ im Kölner Rheinpark – dann denken
die Passanten, dort gäbe es leckeres Eis zu kaufen. Mal versammeln
sich auf dem Wallraffplatz vor dem WDR rund 30 Leute um das Bar-
Fahrrad, um einem Laptop-Konzert beizuwohnen. Da kann es schon mal
passieren, dass jemand wegen Ruhestörung die Polizei ruft.
Oder Merlin E. Bauer parkt sein Rad mit angebauter Kühltruhe
und Schirmdach auf der kleinen Palmeninsel oberhalb der Nord-Süd-Fahrt,
um einen Architekten-Vortrag zum Thema „psycho- dynamische Straße“
gastronomisch zu flankieren. Auf vorbei brausende Autofahrer mag
das wie eine Kleindemo wirken.
Seit Anfang
August sorgt die „Strandbox“ für Verwirrung an öffentlichen
Plätzen Kölns und ist mittlerweile Stadtgespräch.
Nicht länger soll Outdoor- Kultur hier nur den Freizeitsportlern,
dem Ringfest, Karneval und anderen Events überlassen werden.
Es geht um eine Wiederaneignung öffentlichen Raums mittels
themen- und ortsspezifischer Veranstaltungen, die nicht ausschließlich
der Unterhaltung dienen. Getreu dem Motto „Unter dem Pflaster der
Strand“ – übrigens durchaus als Referenz an die 68er – findet
sich zwei- bis dreimal pro Woche eine wachsende Zahl von Leuten
zu unterschiedlichen Anlässen an wechselnden Orten zusammen.
Zum netten Tischtennisturnier im Klingelpützpark, zur Besichtigung
eines Kräutergartens im Stadtgarten oder zur Live-Übertragung
des ersten Zweitliga-Saisonspiels des 1. FC Köln; mal als „kalter
Kaffee zur Popkomm“, zum Vortrag über Stadtentwicklung eines
Architektenbüros oder zum Konzert des Elektronik-Musikers Marcus
Schmickler im Gedenken an das legendäre „Studio für elektronische
Musik“ des WDR, das vor eineinhalb Jahren geschlossen wurde.
Es gibt auch
was zu essen
Merlin E. Bauer,
der Kopf und Organisator, versteht seine „Strandbox“ als mobiles
Forum für Kunst und Kultur, in möglichst großer
Bandbreite. Neben der musikalischen Beschallung über kleine
UKW-Radios gehört das kulinarische Angebot zum Konzept: Essen
und Trinken werden Ort und Thema angepasst. So gab es zur Feier
des 28. Geburtstages (gleichzeitig Einmonats-Jubiläum der „Strandbox“)
des aus Graz stammenden Bauer jüngst unter den Platanen des
Friedensparks österreichische Spezialitäten, dazu auf
der Videoleinwand „Kottan ermittelt“ oder „Der dritte Mann“.
Zur demnächst
geplanten „kölnischen Tafel“ auf dem Gelände der ehemaligen
Chemischen Fabrik in der Industriebrache Kalk wird ein „lokalpatriotisches“
Drei-Gänge-Menü inklusive Flönz und Pflaumenkuchen
angeboten. Bauer hat früher einmal gegenüber dem alten
CFK-Areal gewohnt, das nun peu à peu saniert wird: Die Brache
vom Deutzer Bahnhof bis nach Kalk gehört zu den zentralen Stadtentwicklungsprojekten.
„Seit kurzem befindet sich hier das neue Polizeipräsidium,
wir sitzen dann beim Essen quasi unter Aufsicht der Polizei“, sagt
Bauer und schmunzelt.
Hinter seinem
Elan steht das Begehren, das urbane Umfeld immer wieder neu zu erfahren,
zu beleben, zu definieren. Für ihn sind es gerade die kleinen
Ecken der Stadt, die man oft achtlos passiert und die sich deswegen
besonders dazu eignen, einen „uncodierten, sozialen und temporären
Raum zu schaffen und auch das Verhalten Kölns darin aufzunehmen“.
Da sich die
lokalen Kulturpoduzenten nicht unbedingt durch Mobilität auszeichnen
würden, sagt Bauer, blieben die Szenen oft unter sich und voneinander
abgeschottet. Ein bisschen mehr Bewegung im Stadtraum – wie das
Beispiel Berlin gezwungenermaßen zeigt – kann nicht schaden.
Durch die „Strandbox“ soll es zu mehr Berührungen kommen, aber
nicht unbedingt nur innerhalb der strengen Kaste von Kunst und Kultur.
Interessierte aus allen Kreisen und gesellschaftlichen Schichten
sind willkommen, die mobile Bar für sich zu nutzen. „Ich bin
nur der Kommunikator“, sagt Bauer. Letzte Woche etwa habe das Architekturbüro
BeL einen Abend gestaltet, genauso könne es aber auch der Hausmeister
Krause aus Kalk machen, wenn der einen tollen Hinterhof hat und
dort etwas über seine Arbeit erzählen will.
Genossenschaftliches
Modell
Erstaunlich
ist, welch breite Unterstützung das Projekt bisher erfahren
hat. Dank Spenden und Zuwendungen von Einzelpersonen und Institutionen
konnte die „Strandbox“, deren Anschaffungspreis sich durchaus im
Bereich eines Kleinwagens bewegt, in einem genossenschaftlichen
Modell finanziert werden. Viele Galeristen sind beteiligt – etwa
die namhaften Galerien Sprüth, Buchholz, Nagel und Jablonka
– und Kulturschaffende wie Wolfgang Strobel, der Vorsitzende des
Kölnischen Kunstvereins, oder Michael Erlhoff, Gründungsdekan
der FH Design in Köln; zudem Schauspieler, Regisseure, auch
der Plattenladen A-Musik, weit über die Stadtgrenzen bekannter
Fachhändler für experimentelle elektronische Musik. Bauer
hat kleine Verträge abgeschlossen, wodurch die Teilhaber auf
zwei Jahre fest mit dem Projekt verbunden sind.
Zur Eröffnung
der „Art Cologne“ im November sollen auf einem Kunstfest im Deutzer
Bahnhof dann auch die ersten drei Monate der „Strandbox“ dokumentiert
und im Winter ein kleines Vereinslokal eröffnet werden, für
kreative Begegnungen. Schnell ist man auch außerhalb Kölns
auf die mobile Plattform aufmerksam geworden: Es gibt bereits Einladungen
vom Frankfurter Kunstverein, vom Berliner Techno-Club WMF und aus
Las Vegas.
Dort wird das
Bar-Rad am 5. Oktober bei der größten Bike-Show in der
Wüste von Nevada mitrollen und der deutschen Klischee-Zuschreibung
„Kraut“ mit entsprechendem kulinarischen Angebot begegnen. Im nächsten
Frühling wird sich Merlin E. Bauer dann auf große Fahrt
zu Kölner Partnerstädten wie Turin und Barcelona begeben
– auch ein kulturelles Austauschprogramm ist in Planung. OLAF KARNIK
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